Das letzte bezahlbare Abenteuer
Wo kann man einen nagelneuen classic-500 Eintopf für umgerechnet € 1.600,- erstehen? Und das inklusive lebenslanger Versicherung und Anmeldegebühren? Man muss etwas reisen, um in den Genuss dieses Angebots zu kommen; genauer gesagt: ca. 10.000 km Luftlinie Südost.
Die Rede ist natürlich von der indischen Royal Enfield Bullet in der 500 cc Inkarnation (es gibt sie auch als sonst fast identische lediglich 4 PS schwächere 350er). Heute wird sie nicht mehr in Lizenz gebaut, die Namensrechte gingen mitte der 90er Jahre auf das indische Firmenkonglomerat EICHER über, das auch Enfield of India übernommen hat. Sehr zum Gewinn der Marke. Es wurden seitdem die alte Fabrik in Madras (heute Chennai) auf neue Produktionsstrassen umgerüstet sowie eine komplett neue Anlage in der Näge von Delhi aus dem Boden gestampft. Die Herstellungsqualität hat sich seitdem enorm verbessert – wie ich aus eigener Erfahrung gern bestätige.
Am 11. Dezember 2001 erwarb ich meine erste eigene Enfield, nach fast 20 Jahren Leihmaschinen-Fahrens im Traumland der Tourenfahrer. Der Verkaufsraum der Perfect Motor Company verriet, dass es sich um eines der ältesten Enfield-Dealerships handeln musste, “established 1964” war auf der handgemalten Preistafel zu lesen. Seit Gründerzeiten hat sich auch nicht viel getan in Sachen Inneneinrichtung. Die Tocher des Gründers, Frau Divya, leitet das Familienunternehmen. Einen der Mechaniker hatte ich hier schon 1981 zu Zeiten meiner ersten Indienreise angetroffen. Ein Traditionsunternehmen also.
Die schwarze 500er, die ich im Auge hatte, war grad nicht am Lager. Man versicherte mir, sie würde drei Tage nach Bestellung eintreffen, was sie auch tat. Ein für indische Verhältnisse extrem überraschender Tatbestand. 50% der Kaufsumme zahlte ich an, den Rest bei Lieferung bzw. Abnahme, denn die Geräte kommen in Holzkisten teilzerlegt zum Händler.
Ich hatte, neben der CDI-Zündung vom deutschen Importeur Sommer, noch diverse Langstrecken Ausbauwünsche, die mir der Händler allerdings nicht erfüllen konnte. In Indien ist Zubehör Sache von eigenen Shops die es zuhauf alle in ein und dem selben Teil der Stadt gibt: der Laxmi Road. Mein alter Bekannter von 1981 half mir trotz Lärm-, Geruchs-, Massenandrangs- und Auswahlchaos brauchbare Teile zu ortsüblichen Preisen, also ohne “Touristenaufschlag” zu erwerben. Ein halben Nachmittag später hatte ich Hirschgeweih-Hochlenker, Trucker-Horn, Gasdruck-Stossdämpfer, zwei Gepäck-Stahlboxen, einen ausziehbaren Gepäckträger und zwei Halogenscheinwerfer; alles aus Landesproduktion und zu ca. 20% des jeweils “deutschen” Preises.
Ein spezieller 20 l Tank wurde handgeschweisst, aus einem wohl an die 30 Jahre alten Teil, dessen Seiten durch entsprechende Bleche verbreitert wurden. So gut wie alle Himalaya-Biker haben solche Langstreckentanks. Bei durchschnittlich 3,5 l auf 100 km reicht das für 500 km ohne Stop. Der Umbau gestaltete sich recht langwierig, speziell da die Lackierung 3 mal durchgeführt werden musste, weil “Einbrennen” bei uns nicht “in der Sonne trocknen” bedeutet, in Indien aber wohl schon. Zum Schluss liess ich es bei mittelmässiger Qualität bewenden, auch weil ich im Zuge der Reise ohnehin mit Dellen und Kratzern rechnen musste.
Der Papierkrieg erwies sich als überraschend einfach. Im Grunde erledigte der Händler alles für mich. Ich übergab meinen Pass und 6000,- Rupien (ca. € 120,-) für die Anmeldung. Dafür erhielt ich 10 Tage später meine offizielle Lizenz, Nummernschild (handgemalt), meinen lebenslang gültigen Versicherungsvertrag und einen Computerausdruck von der Zulassungstelle.
Ich liess alles zwei mal fotokopieren und nahm auf meine Reisen innerhalb Indiens immer nur die Kopien mit. Die Originale verwahrte ich in meinem Appartment, da es fast unmöglich ist, im Verlustfall Ersatzpapiere zu erhalten.
Weil ich ein fünf-Jahres Visum habe, musste ich mich auch polizeilich melden. Da das eine nervenaufreibende, oft Tage dauernde Prozedur sein kann, war ich glücklich, dass mein örtliches Reisebüro dies für mich gegen einen geringen Obolus übernahm.
Die diversen Modifikationen am Bike mussten von den jeweiligen “Spezialisten” durchgeführt werden, da die offizielle Werkstatt nur werks-originale Arbeiten übernimmt. D.h. es gibt einen Elektro-Baba, einen Schweisser-Baba, einen Lackier-Baba usw.
Zum Glück waren sie alle strategisch geschickt in der Nähe des Enfieldhändlers zuhause. Trotzdem war wochenlange Rennerei mit sich mehrfach wiederholenden Qualitätsprüfungen nötig, um alles in für mein “deutsches” Verständnis akzeptablen Toleranzen gefertigt zu bekommen. Indern macht es nicht aus, wenn Packtaschen schräg hängen und auch verschiedenen seitlichen Abstand zum Träger haben, solange alles ordentlich festgeknallt ist – natürlich ohne Sprengringe (und dem damit vorprogrammierten Verlust der Muttern). Es wäre schlau gewesen, einen Satz selbstsichernder Muttern mitzubringen, da sowas fortschrittliches hier kaum bekannt ist (vielleicht sind sie auch nur zu teuer). Ich habe im Verlaufe der Reise ALLE Muttern und Schrauben, die nachträglich angebracht wurden, mindestens einmal verloren, jedoch nur zwei der werksseitigen Befestigungen. Dies spricht sehr für die neuen Enfield Fertigungsanlagen, wo seit einigen Jahren nach ISO Norm gearbeitet wird.
Ich war nun schon 6 Monate in Pune, einer ziemlich dreckigen Industriegrosstadt. Mich zog es an die sauberen und sonnigen Küsten Goas. Da es zudem Winter war und Pune recht hoch liegt, wurde es in den Nächten bis zu 5 Grad kühl. Bevor ich mich auf die 1000+ km lange Reise machen konnte, waren jedoch 600 km im “Schrittempo”, d.h. 40 km/h, zurückzulegen, gemäß den rigiden Einfahrvorschriften eines alten Grauguss-Motors! Ich entschied mich, einen indischen Freund und Motorradliebhaber gegen Bezahlung einen halben Tag eine lange Landstrasse auf und abfahren zu lassen. Damit hatte ich auch die erste Inspektion (wie die folgenden drei kostenlos) hinter mir, als ich mit immerhin 60 km/h erlaubter “Top-Speed” losfuhr. Erst nach 1500 km kann man dann “den Hahn aufdrehen”. Aber für indische Strassen ist 60 schon eine recht ordentliche Geschwindigkeit. Man fährt selten über 80 km/h. Nicht weil die Beläge so schlecht wären, sondern weil die anderen Verkehrsteilnehmer zu gefährlichen Spontanaktionen neigen wie z.B. einem auf der eigenen Seite entgegenzukommen, in der Kurve zu überholen, anzuhalten ohne Bremslicht usw. Es gibt drei Überlebensregeln für den Verkehr in Indien: Abstand, Abstand, und noch mehr Abstand. Manch junger westlicher Heissporn hat in Missachtung dieser Regel sein Urlaubsgeld in der Knochen-Klinik in Goa lassen müssen.
Die Strassen sind sehr viel besser als vor z.B. 20 Jahren, allerdings noch immer nicht auf europäischem Stand. Und viele der wirklich guten “Toll-Highwways” sind für “two-wheeler” gesperrt. Auf dem Weg nach Goa verlor ich zunächst den ausziehbaren Teil meines Gepäckträgers, dann die obere Befestigung des Sturzbügels, der sich daraufhin nach vorn lehnte und die Gabel seitlich blockierte. Zum Glück fuhr ich grad sehr langsam und konnte anhalten, bevor Schlimmeres passierte. Danach war mein gutes rotes Trucker-Horn fällig. Es schleifte irgendwann nur von den Kabeln gehalten über den Asphalt. Dank Duct-Tape war das kein allzu langwieriges Problem. Nach 14 Stunden spannender Fahrt durch die Berge von Mahabaleshwar, fruchtbare grüne Täler, an grossen Seen vorbei erreichte ich mit nur 4 “technischen Pausen” den herrlichen violett-feuerroten Sonnenuntergang Goas.
Es sollte nur eine einwöchige Stipvisite werden. Am endlos langen weissen Sandstrand von Arambol in Nordgoa suchte ich mir eine Hütte in einem der Hüttendörfer für Touristen zu 100 Rupees die Nacht. Zwei Enfields begrüssten mich beim Einchecken. Ihre “Besitzer” hatten sie vom lokalen Verleiher “Peter & Friends Classic Adventure” und nutzen sie auch nur um zu den Goa-Parties im Umland und zurück zu gelangen. Ich konnte mich nicht dafür begeistern. Zum einen, weil ich in der Vergangenheit auf genug Goa Parties für 2 Leben war, zum anderen, weil ich vorhatte, indische Verkehrsverhältnisse langfristig zu überleben, was nur mit extremer Wacheit ohne jeden Drogeneinfluss warscheinlich ist. Es schadet dabei nicht, die Wachheit durch regelmässiges Meditieren zu verstärken.
Die Strassen Goas sind schlaglochverseuchte Feldwege 4ter Ordnung; Kühe, Ochsenkarren, parkende Busse können in jeder Kurve zur Überraschung werden. Oft sind Bäume und Büsche effektive Sichtsperren, so dass einem zehn Meter Bremsweg bleiben. Das ist selbst bei langsamer Fahrt nicht viel. Der Stärkere gewint nicht nur, er hat auch noch Recht. Hier gilt nichts, was mit unserer STVO zu vergleichen wäre. Unfallopfer sind immer “selbst Schuld”, auch wenn der busfahrende indische Unfallgegner volltrunken ist. Von meinen diversen Horrorerlebnissen ist eins besonders in Erinnerung: Ich fuhr mit mässiger Geschwindigkeit und Licht in einen Tunnel ein, behielt jedoch aus Bequemlichkeit meine Sonnenbrille auf. In Tunnelmitte sah ich eine schwarze Wand auf mich zukommen – zwei unbeleuchtete LKWs übten Überholen. Nur mein instinktiver Linksschwenk an die Tunnelwand rettete mich – der linke LKW klappte meinen rechten Spiegel an den Tankrucksack, so knapp war das “Encounter”. Nach dem Tunnel brauchte ich 15 Minuten Pause bevor ich weiterfahren konnte.
Auf den engen und schlechten Strassen Goas war es kein Problem, die Einfahrgeschwindigkeit von 60 km/h nicht zu überschreiten. Ich genoss das langsame dahingleiten im 4. Gang zum rhytmischen “thump-thump-thump” des grossvolumigen Langläufers. Seit dem Jahr 2000 unterliegen neue indische Fahrzeuge rigiden Abgas- und Lärmvorschriften. So haben alle neuen Enfields lange Schalldämpfer, die einen sehr “sexy” dumpfes Grollen erzeugen ohne beim Beschleunigen übermässig laut zu werden. Dieser Schalldämpfer brauchte übrigens bei der späteren deutschen TÜV-Abnahme nicht gewechselt zu werden.
Der Motor ist extrem elastisch. Mann könnte wohl im dritten Gang von Goa nach Hamburg fahren wenn nötig. Die Kupplung hielt jedoch nicht sehr lange. Schon nach 4000 km, davon jedoch etliche im Gebirge, war der erste Wechsel fällig. Kollegen waren überrascht und erzählten von 15.000 km Lebensdauer. Immerhin hielt die dritte Kupplung, die ich vor dem Start nach Deutschland einbauen liess, 10.000 km und ist immer noch im Betrieb. Zur Ehrenrettung sei auch erwähnt, dass ein Satz Beläge € 8,- kosten und der Wechsel eine Sache von 8 leicht zugänglichen Schrauben und 10 Minuten ist.
Kurz vor meiner Rückkehr aus Goa traf ich ein englisches Pärchen, das sich meine Enfield für einen Tag auslieh und so begeistert war, dass sie mich baten, ihnen eine nach London zu schicken. Ich sagte zu und das Verhängnis nahm seinen Lauf. Das Bike ist heute noch nicht in England angekommen, die indische sowie die englische Niederlassung des Spediteurs schieben sich gegenseitig die Schuld am Verlust zu. Ein Anwalt wurde eingeschaltet und es ist kein Ende abzusehen. Aber das ist eine, Story die bei anderer Gelegenheit ausführlich erzählt werden wird.
Die Woche in Goa war ein voller Einfahr-Spass. Ich hatte sogar etwas über 2000 km auf dem Tacho, als ich endlich in der Werkstatt in Pune auftauchte. Da in Indien der Treibstoff ungefähr so teuer wie in Deutschland ist, das Durchschnittseinkommen jedoch weniger als 10% vom deutschen beträgt, sind alle Fahrzeuge rigide auf Sparsamkeit getrimmt. Das führt zu sehr magerer und damit heisser Verbrennung. Zusätzlich sorgt schleche Spritqualität für ständiges “Klopfen” des Motors. Erst in Europa sollte sich das ändern, mithilfe von “Eurosuper”.
Indisches Benzin wird oft mit Kerosin “gestreckt”. In der Regel kennen die Motor-Rikscha Fahrer jedoch die “Panscher” und tanken an den sauberen Zapfsäulen. Man muss sich dort beherzt “vordrängeln” um an sauberen Sprit zu kommen ohne ½ Stunde drauf warten zu müssen. Die “Opfer” westlicher Ungeduld sehen das aber meist mit Humor – Geduld liegt den Indern im Blut.
Zu Beginn meiner Reise im März 2001 war der Trip zurück per Motorrad nur eine Option. Ich hatte für den Iran in Hamburg bereits eine “Bearbeitungsnummer” beantragt, um zügig ein Transitvisum in Bombay zu bekommen. Das war die einzige bürokratische Vorbereitung, die ich getroffen hatte. Es stellte sich heraus, dass ich kein Transit- sondern ein Touristenvisum brauchen würde, was 4 Wochen Wartezeit bedeutete.
Zusätzlich benötigte ich ein “Carnet de Passage” für die Enfield. Dieses Zollpapier garantiert den Transitländern, dass man das Fahrzeug wieder ausführt, also es nicht etwa vor Ort verkauft. Ich wusst, dass dies für Reisen in West-Ost Richtung nötig ist, bei denen man mit teurem westlichen Gerät in Länder der dritten Welt fährt. Ich hatte angenommen, die umgekehrte Richtung, noch dazu mit einem billigen Bike aus indischer Fertigung, wäre problemlos. Falsch gedacht! € 300,- kassierte der ADAC für die Ausstellung und verlangte eine Bankbürgschaft über € 3000,- für die Enfield, 200% des Neupreises in Indien. Die Ausstellung erfolgt binnen Wochenfrist und der Versand per Fedex dauerte auch nur 3 Tage, kostet allerdings noch einmal € 60,-. Die Austellung des Carnets stand auf des Messers Schneide, da der ADAC für “Touristen” in Indien keins mehr ausstellt. Angeblich ist der Erwerb von Fahrzeugen für solche untersagt. Indische Beamte konnten dies auf Anfrage nicht bestätigen und der ADAC wollte mir die Quelle dieser “Erkenntnis” auch nicht nennen. Da ich jedoch aufgrund meines fünf-Jahres Visums vor Ort gemeldet war, galt ich als “Resident” und durfte, in den Augen des ADAC, ein Fahrzeug erwerben.
Als ich schliesslich, wie ich glaubte, alle Papiere beisammen hatte, änderte Pakistan die Einreisebestimmungen für westliche Touristen. Vor der Pakistan/Indien Krise und der Schliessung der Grenzen im März 2002 für die Bewohner der beiden Länder konnten “Westler” direkt an der Grenze ein Visum beantragen. Diese Regelung wurde kurz vor meiner geplanten Abreise ausser Kraft gesetzt.
Plötzlich musste man nach Delhi und für ein Visum beim pakistanischen High-Commissioner vorsprechen. Noch dazu wurde dieser kurz darauf von den Indern mit Wochenfrist ausgewiesen. Da das “Reisefenster” nach Europa aufgrund des herannahenden Monsuns und der grade beendeten Frostperiode im anatolischen Hochland der Türkei relativ eng ist, konnte ich den Konflikt nicht “aussitzen”, sondern musste sofort handeln.
Da die Fahrt nach Delhi mit dem Bike zu lange gedauert hätte kam nur der Zug infrage. Das Bike musste mit, denn hin, zurück und dann zum dritten mal fast die gleiche Strecke nach Norden zu fahren war keine Option. Nun sind Züge in Indien für Monate im Voraus ausgebucht. Selbst Bestechungsgelder in erschwinglicher Höhe ändern nichts daran. “Tourist quotas” gab es für den Zug den ich nehmen musste nicht – es blieb die sogenannte “Notfallregel”. Ich musste meinen Fall überzeugend einem Bahnbeamten als Notfall verkaufen – was mir in schillernden Farben und mit Hinweis auf die immensen Vorbereitungskosten dieser “Jahrhundertfahrt” auch gelang. Er muss mich für verrückt gehalten haben – jedenfalls bekam ich mein Ticket binnen einer halben Stunde und konnte am nächsten Mittag im “1st Class airconditioned Sleeper” nach Delhi starten.
Nicht jedoch ohne vorher auf dem Bahnsteig die Maschine in Sackleinen gestopft mit Stroh verpackt lassen zu müssen. Auch eine Transportversicherung gegen Beschädigung war obligatorisch. Beides nützte nichts. Sie kam in Delhi verkratzt und leicht verbeult an. Ich hatte keine Zeit, mich um kleinliche Schönheitsfehler und eventuelle Versicherungsforderungen zu kümmern. Das Pakistanische Visum drängte und die Aussicht auf die lange interessante Fahrt liess schlechte Laune wegen solcher Kleinigkeiten gar nicht erst aufkommen.
Zunächst musste ich bei der deutschen Botschaft vorbeischauen, um mir einen Persilschein ausstellen zu lassen. Danke für den klasse Service Leute! Es gab einen extra Schalter für Deutsche. Hunderte indischer Visa-Williger verbrachten wohl den Rest des Tages mit Picnic auf dem grünen Rasen vor der Embassy während ihre Visa-ersuchenden Verwandten in langen Schlangen vor den Schaltern schmorten.
Dafür hatten die Pakis dann die Expressline für Moslems und Warte-Meditation war angesagt für einen netten Franzosen und mich – die einzigen die das “Land der Reinen” besuchen wollten. Da der Botschafts-Häuptling am nächsten morgen das Land verlassen musste, gab er sich nochmal extra Mühe und wir waren beide nur 6 Stunden später mit den nötigen Stempeln versehen. Jedoch nicht ganz ohne Schikane, z.B. sollten die umgerechnet € 5,- für das Touristenvisum unbedingt per Bank-Draft bezahlt werden. Also stoben wir los, um eine geöffnete Bank zu finden. Nach ca. 2 Stunden war das Problem dann auch ad acta.
Ich hatte mich im Hotel Shanti Palace einquartiert, einem $ 20,- pro Nacht Luxusquartier nahe dem Flughafen. Noch am Abend legte ich letzte Hand an die völlig überladene Maschine und überliess sie dann für die nächsten 6 Stunden der Obhut des Nightguards um gegen 5:30 in der Früh Richtung Amritsar aufzubrechen. Da ein ziemlich guter “Highway” Delhi mit der Pakistanischen Grenze verbindet, rechnete ich mit nur knapp einem Tag Fahrzeit. Es gab sogar einen echten McDonalds en route, mit einer “Show-Off” Harley Davidson davor, die sich erst auf den zweiten Blick als reiner Blickfänger erwies – sie war wohl schon ein paar Jahre in inzwischen bejammernswertem Zustand zu PR Zwecken dort abgestellt und am verrotten.
Bis auf den endgültigen Verlust meines roten Horns war dieser Abschnitt der Reise ereignislos. Ich erreichte die Hauptstadt Punjabs (und der Sikh Religion) am späten Nachmittag und fuhr gleich bis zum Grenzposten durch, um die “militärische Lage” zu erkunden. Denn laut Zeitungen war ja Krieg angesagt zwischen Indien und Pakistan. Allerdings konnte ich nur ein paar Sandsäcke mit vereinzelter leichter Infantrie ausmachen, auch nicht mehr, als man alle Tage in diesem Teil der Welt sieht. Der Grenzbetrieb stelle sich dann auch am nächsten morgen als völlig normal heraus, einmal abgesehen von dem Umstand, dass ich zum Zeitpunkt der Grenzöffnung der einzige “Kunde” war.
Vier indische “Customs Officials” stürzten sich begierig auf meine Gepäck und rissen alles auseinander. Ich musste die Maschine bis auf die Sitzbank herunter strippen. Selbst mein Carnet wurde gestempelt, was natürlich völlig sinn- und verstandlos war, angesichts der Tatsache, dass ich das Land verlassen wollte und die Maschine eine indische war, ich sie also ruhig hätte verkaufen können. Naja, die Spanier haben ja den IQ für die Aufnahme in die Streitkräfte auf 70 gesenkt, die Inder müssen ähnlich mit ihren Zollinspektoren verfahren sein.
Auf der pakistanischen Seite gab es dann eine freudige Überraschung. Nicht nur wurde ich binnen 10 Minuten abgefertigt ohne dass man auch nur einen Blick auf mein Gepäck geworfen hatte, ich traf auch noch zwei nette Schweizer BMW-Biker auf dem Weg nach Osten.
Der Nordöstliche Teil Pakistans unterscheidet sich kaum von der benachbarten indischen Region. Die Dörfer sind eher noch etwas ärmlicher, aber die Strassen ausserhalb der Ortschaften in einem recht ordentlichen Zustand, mit modernen Tankstellen alle 50 km. Wo die Strassen noch schlecht sind, wird an ihnen gearbeitet. Ich kam an sehr vielen Strassenbaustellen vorbei, die alle ungekennzeichnete Fallen für Schnellfahrer sind mit Schlaglöchern in der Grösse von Babybadewannen.
Die Hitze war mörderisch. Alle halbe Stunde hielt ich, um aus fünf-Liter Kannistern, die ich links und rechts neben den Fahrersitz herunterhängen hatte, zu duschen – natürlich mit Klamotten. Leider trocknete es bei über 40 Grad im Schatten viel zu schnell wieder.
Die Enfield war wegen Überladung auf den Baustellenabschnitten schwer zu halten, daher trennte ich mich bei meinem übernächsten Stop in Sukkur von den Kanistern und 20 KG Ersatzteilen, die ich per Luftfracht nach D schickte. Die $ 100,- hätte ich mir auch sparen können, fast alles war zerbrochen, als ich es nach meiner Rückkehr in Empfang nahm.
Kurz vor Lahore hatte ich dann meinen ersten (und einzigen) Platten. Das Hinterrad verlor die Luft in nur 10 Sekunden. Ich konnte die wild wackelnde Maschine grad noch zum Stehen bringen und wollte grad kräftig fluchen, als ich einen Stapel LKW-Reifen auf der gegenüberliegenden Seite wahrnahm. Ich befand mich direkt vor einem Reifen-Shop! So kam es, dass ich 20 Minuten später und einen ganzen Dollar ärmer wieder “on the Road” war. Die Flickmethode, Rad bleibt montiert, Flicken wird mit Waffeleisen aufvulkanisiert, war interessant anzusehen.
An meinem ersten Tag in Pakistan fuhr ich bis spät in die Nacht hinein, um trotz Zoll- und Plattfussverzögerung mein Tagessoll zu schaffen. Das war natürlich ein Fehler. Die Unfallgefahr steigt bei Nacht enorm und durch Übermüdung nimmt die Aufmerksamkeit ab. Sehr spät beschloss ich, in einem Rohbau am Strassenrand zu übernachten. Dieser stellte sich am nächsten Morgen als Moschee heraus. Nachdem ich bereits die ganze Nacht den aus auf Traktoren-Auspüffen montierten Lautsprechern plärrenden muselmanischen Gesängen gelauscht hatte, war mein Bedarf an weiteren religiösen Erscheinungen gedeckt und ich machte mich schleunigst vom Acker. Ich beschloss, fürderhin nur noch in Hotels zu übernachten.
Etwas verschlafen nahm ich den falschen Abzweig nach Sukkur, meinem Etappenziel für den Tag. Ich wurde auch prompt mit einer Landstrasse 5ter Ordnung bestraft, grade breit genug für zwei PKW nebeneinander, verziert mit Schlagloch an Schlagloch ohne Ende. Jeder entgegenkommende LKW, natürlich mit eingebauter Vorfahrt, zwang zu einem Balanceakt zwischen äusserstem linken Strassenrand und Graben. Durch die Daueranspannung entging es mir, dass sich einer der Riemenbefestignungskarabiner meiner teuren BREE Reisetasche lossriss und die daran hängende Fototasche das Weite suchte. Nicht nur war meine neue Canon EOS samt Blitz und Objektiven zum Teufel, auch alle bis dahin belichtete Diafilme. Erst bei meinem nächsten Tankstopp, kurz vor dem Ziel, fiel mir der Verlust auf. Allerdings war es sinnlos, an Suchen auch nur zu denken, die Nebenstrecke war gut bewohnt und ausserdem erschien es mir unmöglich, während des Fahrens den Boden abzusuchen und dabei nicht von anderen Verkehrsteilnehmern überrannt zu werden.
In Sukkur angekommen entschied ich mich im örtlichen Luxushotel für zehn Dollar mit AC und Frühstück zu übernachten. Das Krad in der bewachten Hotelgarage abgestellt machte ich mich daran, die Stadt zu erkunden. Es gab die neuesten DVDs für vier Dollar zu kaufen, ich machte mir erst gar keine Gedanken über deren Herkunft und schickte ein paar an Freunde in Deutschland. Selbst ein Internet Café gab es, allerdings überzeugte die Linespeed mit ca 300 Baud nicht wirklich. Nach 30 Minuten hatte ich natürlich all den Spam runtergeladen, den ich nicht wollte und meine Mails waren immer noch auf dem Server. Ich verschob Postbeantwortung auf bessere Zeiten. Zurück im Hotel, es war inzwischen Nacht geworden, gab es keine AC, da die Elektrizität stadtweit ausgefallen war (und auch für den Rest der Nacht ausgefallen blieb). Das Frühstück um 5 Uhr am nächsten morgen musste mangels Küchenbesetzung ausfallen. Statt AC gab’s einen nasses Bettlaken als Kühlung – und statt Frühstück unaufgefordert und für die kommenden 500 km eine Polizeieskorte die aus 4 Mann mit Kalashnikov auf einem Toyota Pickup bestand. Der Hotelmanager, dem ich kurz und unter Einsatz von reichlich Körpersprache meine Reisepläne erläutert hatte, musste sie zu meinem Schutz, jedoch ohne mein Wissen, angefordert haben. Leider fand ich nie heraus, vor wem oder was sie mich schützen sollten. Die Fahrt nach Quetta ging durch Wüste, dann Halbsteppe und endlich wunderschöne Gebirgslandschaften mit Wasserfällen und einem klaren kleinen Fluss, der zum Baden einlud, wäre da nicht meine motorisierte islamische Leibgarde gewesen. Die Strassenqualität wurde auch zunehmend besser. War es hinter Sukkur noch ziemlich löchriger schmaler Asphalt erreichte sie in der Nähe Quettas durchaus Bundesstrassen-Niveau.
In Quetta entpuppte sich die Hotelsuche dann als Herausforderung. Nicht das es keine gegeben hätte, sie waren überall, nur eben leider für 200 oder 2 Dollar die Nacht, also Abteilung Super-Luxus oder Schabe. Nach wohl gut einer Stunde City-Cruising fand ich ein “Holiday-Resort” mit Bugalows, das nach etwas Handeln und daraus folgendem 50%igem Rabatt die zwanzig Dollar kostete, die ich gewillt war auszugeben. Es gab sogar ein richtiges Internetcafé mit 4 Terminals und einigermassen brauchbarer Anbindung. So störte es auch nicht übermässig, dass ich mir vom hoteleigenen “garantiert völlig sauberen Wasser aus eigenem Tiefbrunnen” Durchfall holte, der erste und einzige auf meiner Reise. Ich blieb eben zwei Tage länger und schrieb längst überfällige Emails nach Hause.
Downtown gab es interessante Coffeshops. Ich erwarb auch Waffenöl (als Kettenschmierung) und auf dem Wochemarkt wurde sogar das neue Windows XP für ganze 5 Dollar feilgeboten, sowie diverse andere Hochpreissoftware. Die von Microsoft zur Piratenabwehr gegründete “Business Software Alliance” war offensichtlich nicht Teil der neuerlichen amerikanischen Präsenz in Pakistan.
Nach meiner kleinen Zwangspause ging es erfrischt in meine längste Wüstenetappe mit den heissesten Tagestemperaturen, der Strasse Richtung Iran mitten durch Taliban- bzw. Paschtunengebiet entlang der Grenze zu Afghanistan. Auf der ca. 1000 km langen reinen Wüstenstrecke stieg die Temperatur auf über 50 Grad.
Dafür gab es ab 100 km hinter Quetta keine Tankstellen mehr, die ich als solche erkennen konnte. Es gab Dieselzapfsäulen, jedoch nirgends Benzin. Wann immer ich fragte, wurde ich mit “nur noch ein paar km” weitergeschickt – ohne je etwas Zapfsäuliges zu finden. Schliesslich, mit etwa noch einem Liter Reserve im Tank, hielt ich neben einem Beduinenjungen, der ein paar Fässer am Strassenrand bewachte. Er erkannte schnell, an was es mir mangelte, zückte einen Schlauch, saugte aus dem Fass an und signalisierte mir den Tank zu öffnen. Ich war auf eine der vielen “zollfreie Tankstellen” gestossen, die aus dem Iran geschmuggelten Sprit etwa zum halben offiziellen Preis feilboten. Kein Wunder, das “Exxon” und “Shell” da nicht mithalten konnten.
Diese Tankfüllungs sollte bis hinein ins Land des 5-Cent-pro-Liter Treibstoffs reichen. Die Bahnlinie verlief während eines grossen Teil der Strecke parallel zur Strasse; mitunter wechselte sie von links nach rechts und wieder zurück. Die eingleisige Linie wird von einem einzigen kombinierten Güter- und Personenzug belebt der aussieht, als wenn er aus dem Film “Lawrence von Arabien” entsprungen wäre. Ich bin eine Weile neben der Lok hergefahren, allerdings wurde die Schleicherei schnell zur Qual. Selbst meine aufgrund der Hitze auf 90 km/h gedrosselte Enfield war ein Renner gegen diesen Bummelzug.
14 Stunden nach meinem Aufbruch in Quetta hielt ich vor dem einzigen Hotel des Grenzdorfes nach dem Iran, 14 km westlich von Nok Kundi. Gegenüber liegt der letzte pakistanischen Bahnhof. Die Hotelhalle war mit verblassten Postern pakistanischer Schönheiten, sowohl weiblicher als auch landschaftlichen, tapeziert. Hinter dem Rezeptionstresen, neben einer enormen Telefonanlage aus der Zeit des British Raj, hatte sich ein junger Mann in ein obskures Magazin vertieft. Es gab keinen Strom und damit natürlich auch kein fliessendes Wasser (“city generator broken since two weeks ..”). Fünfzehn Dollar für das beste Hotel am Platz (wegen der grossen Auswahl fiel der Titel automatisch an dieses Etablissement) waren wohl angemessen, insbesondere man bedenkt, dass ich nur fünf Räume inspizieren musste, um auf ein gemachtes Bett zu stossen, das noch dazu nicht aussah, als wenn es zu Zeiten des Richtfestes zuletzt belegt gewesen wäre.
Ein paar extra Rupees und ich konnte zwei Eimer brühwarmen Wassers von leicht milchig-grünem Aussehen in Empfang nehmen. Ich nutzte den Grossteil meines Chlorpräparates zur Trinkwasserherstellung um es, wenn schon nicht appetitlich, dann doch wenigstens keimfrei genug zum duschen zu bekommen.
Mangelnde Beleuchtung führt zu frischem frühen morgentlichen Elan und so weckte ich die beiden Zollgrenzposten am nächsten morgen um Punkt neun in ihren Feldbetten, die praktischerweise direkt vor dem grossraum-Zollbüro standen. Ich wurde zum Tee eingeladen, mein Pass so ganz nebenher gestempelt und nach freundlicher Unterhaltung zum Grenzübergang einen halben Kilometer weiter über einen Feldweg geschickt. Dort warteten bereits Busladungen von pakistanischen Irantouristen auf die iranische Miliz, die sich erst gegen elf die Ehre gab und die Absperrung öffnete. Mein Pass wurde auf Paki-Seite zum zweiten mal gestempelt. Warum entzieht sich meiner Kenntnis, und dann, natürlich wieder mit Tee und Gebäck und erstaunten Blicken ob meines Transportmittels, auf iranischer Seite. Niemand interessierte sich auch nur im Geringsten für mein Gepäck. So eine Reise “nur zum Spass” zu machen muss für einen hart arbeitenden Moslem eine sehr befremdliche Idee sein. Noch dazu in meinem “hohen Alter” wie man mir versicherte (ich war zu dem Zeitpunkt grad mal 49). Allerdings gibt es im Iran zur Zeit wohl nur junge und SEHR alte Männer. Die mittelalten wurden in diversen Kriegen und Revolutionen verheizt.
Die Strasse nach Zehadan ist erstklassig, breit und neu. Um in den Genuss des sagenhaft billigen Benzins zu kommen hatte ich seit längerem nicht getankt und erreichte die erste Tankstelle auf dem sprichwörtlichen letzten Tropfen. Leider wurde mir beschieden, dass Ausländer keinen Sprit erhalten könnten. Auch mein bester “verzweifelter Gesichtsausdruck” half mir bei einem blau-beoverallten barttragenden Tankwart nicht weiter. Ein junger Autofahrer hatte schliesslich Mitleid und schwenkte den Rüssel seiner Zapfsäule für eine Minute in meinen Tank bevor er bezahlte. Geld von mir dafür wollte er allerdings nicht. Später klärte mich ein Hotelmitarbeiter auf: Die Massnahme war nicht gegen die eher seltenen Touristen gerichtet sondern natürlich gegen Beduinenschmuggler, die regelmässig Toyotaladungen von Kanistern voll des staatlich subventionierten Nasses über die “grüne Grenze” schafften. Er besorgte mir einen 20 l Kanister voll Super für nur fünf Dollar, den Kanister eingeschlossen. Einige hundert km tief ins Land gab es diese Spritabgabebeschränkung dann nicht mehr, nur die Grenzregion ist betroffen.
Es gab auch in Zehadan Internetcafés. Und zwar gleich mehrere in der Ecke, in der sich mein Hotel befand, modern ausgestattet und mit passabler Linespeed. Ich war überrascht, dass gut die Hälfte der User aus Frauen bestand. Zwar mit Kopftuch und in grau, aber immerhin! Die plärrenden Moscheen waren auch hier an jeder Ecke zu hören, und das ohne Rücksicht auf die Nachtruhe. Einer der Nachteile staatlich verschriebener Religiösität, wobei mir nicht ganz klar ist, worin der Vorteil liegen könnte.
Kerman war meine nächste Station. Dort stolperte ich bei meiner Hotelsuche mitten in ein Fussball-Weltmeisterschaftsspiel Deutschland gegen irgendwen. Ich bekam den Ehrenplatz direkt vor einem riesigen Fernseher. Es wurde Tee und Gebäck gereicht und ordentlich gebrüllt, jedesmal wenn “wir” angriffen oder gar ein Tor erzielten. Die Iraner im Raum waren allesamt “Deutschland-Fans”, und das nicht nur im Fussball.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mit kleinen US Dollar Scheinen bezahlt und nur geringe Mengen lokaler Währung getauscht. Ich bin mit weniger als 120 Dollar durch den gesamten Iran gekommen und habe dabei sehr gut gelebt. Pakistan und Indien waren ähnlich billig, obwohl Benzin dort teurer ist als im Iran. Ab der Türkei sollte sich das Bild aber ändern, mit drastisch steigenden Reisekosten je weiter es mich nach Westen trieb.
Als nächstes lief ich Esfahan an, weil es mir von allen meinen iranischen Freunden als architektonische Schönheit angepriesen worden war. Auf dem Weg dorthin begegnete ich zwei deutschen Bikern auf Ostkurs, die auch begeistert von Esfahans historischen Gebäuden waren. Allerdings bin ich kein grosser Bewunderer religiöser Prachtbauten und der Smog in dieser Stadt war mir deutlich zu intensiv. Am darauffolgenden Tag steuerte ich daher bereits meine letzte Station im Iran an, die Stadt Tabriz.
Hier wollte ich den längst fälligen Checkup der Maschine durchführen. Ein Student der englischen Literaturgeschichte, der als Rezeptionist jobbte, führte mich zu seinem “Onkel”, der praktischerweise eine Motorradwerkstatt betrieb. Zwei Personen befassten sich die folgenden Stunden ausgiebig mit jeder Kleinigkeit, die an der Enfield einstellbar war oder lose sein konnte. Es wurde sogar eine Hauptständerverlängerung angeschweisst. Am Ende wollte man mal wieder kein Geld und ich musste meinen freundlichen Helfern zwanzig Dollar aufnötigen.
Ich beschloss, einen weiteren Tag zu bleiben. Bei meinen Streifzügen durch die Stadt wurde ich von Polizei auf schweren Suzuki Motorrädern angehalten und zu Tee und Gebäck ins Präsidium abgeführt. Man sprach gebrochen Englisch und ich durfte vor dem Bezirkssheriff Reiseanekdoten zum besten geben.
In der Stadt fielen mir Läden auf, die grossvolumige Motorräder zum Verkauf anboten. Von alten BMW R90 über die Moto-Guzzi California, die Honda Sechszylinder aus den 70ern, Ducaties, Laverdas – alles war zu sehen. Ich hatte jedoch nirgends im ganzen Land, ausser bei der Polizei, Kräder über 150 ccm gesichtet. Die waren nämlich, seit sie während der “Revolution” für hit-and-run Angriffe auf die Moslemwächter verwendet wurden, verboten. Nun konnte man sie spottbillig erwerben. Vorausgesetzt man findet heraus, wie sie ausser Landes zu schaffen sind.
Der Grenzübergang in die Türkei erwies sich als der trägste. Ich musste eine KFZ-Versicherung erstehen, die 20 Dollar kostete und ein Jahr Gültigkeit hatte, das allerdings nur innerhalb der Türkei. Die Türken ließen sich insgesamt drei Stunden Zeit, um meine Papiere zu stempeln. Insbesondere faszinierte sie das Carnet, das eigentlich für dieses Land nicht erforderlich ist, das ich aber in Ermangeln präsentabler Besitzpapiere mit vorgelegt hatte. Endlich beschlossen sie, es auch zu stempeln und ich durfte weiterfahren, mitten in einen Sandsturm hinein, der die Sicht binnen Minuten auf nahe Null senkte. Ich schlich im ersten Gang an schemenhaft sichbaren schwerbewaffneten Grenzposten vorbei hoffend, dass sie mich als harmlosen Touristen erkannt hatten. Wir befanden uns schliesslich im wilden Kurdistan!
Das anatolische Hochland mit ca. 1000 Metern ü.d.M. stellte sich schnell als zu kühl für mein Wüstenoutfit, bestehend aus langärmliger Sweater und Jeans, heraus. Zudem zogen schwere Regenwolken auf, die ersten seit Reisebegin. Ich biss die Zähne zusammen wissend, dass meine Biker-Klamotten ganz unten in meinem Gepäckberg versteckt waren. Als es dann doch noch zu regnen begann musste ich in den sauren Apfel beissen. 30 Minuten dauerte die Umkleide-Arie. Pünklich zum Ende hörte es auch wieder auf zu regnen, für den gesamten Rest der Reise übrigens! Ich hatte das unwarscheinliche Glück, 26 Tage so gut wie ohne Wasser von oben fahren zu können.
Über Erzurum, eine eher langweilige Stadt, ging es weiter Richtung schwarzes Meer über 3000 Meter hohe Pässe. Hier waren meine warmen Klamotten wirklich angesagt. Es lang sogar noch vereinzelt Schnee neben der Strasse.
Das schwarze Meer machte meine Hoffungen auf Badepause schnell zunichte, es war einfach zu kalt. Die Silhouette entlang der Küstenlinie, voller Betonkomplexe und Hotelneubauten, übte keine wirklich Faszination auf mich aus, so dass ich nach einer Übernachtung in einer deutschsprachigen Pension (man arbeitete in Düsseldorf) den längsten Tagesabschnitt meiner Reise direkt bis zum Bosporus in Angriff nahm. Tatsächlich erreichte ich die Hängebrücke, die Europe mit Kleinasien verbindet, am späten Abend.
Istanbul war ein riesiges Lichtermeer. Ich war zu müde um die vielen kleinen Gassen auf der Suche nach einem Hotel zu navigieren. So blieb ich auf der Autobahn in Richtung Griechenland und hielt erst viel später, gegen ein Uhr morgens, vor einem ziemlich herutergekommenen Hotel. Natürlich funktionierte das heisse Wasser nicht und es gab auch nichts zu essen. Aber egal, ich wollte einfach nur noch schlafen.
Am nächsten Morgen entdeckte ich ein neues wirklich einladend aussehendes Hotel nur 2 km weiter entlang der Strasse – Pech! Ich tröstete mich mit der Erkenntnis, dass ich in 18 Stunden immerhin 1.200 km zurückgelegt hatte. Die Stassenqualität war durchgehend gut bis sehr gut. Es wurden stellenweise Autobahngebühren erhoben, die allerdings, verglichen z.B. mit Italien, lächerlich gering waren.
Die Abfertigung an der türkisch-griechischen Grenze war die schnellste. Überall waren Fernseher aufgestellt, die das Spiel Türkei-Korea übertrugen. Man hatte einfach kein Auge für Touristen. Ich musste insistieren, um mein Carnet freigestempelt zu bekommen. Auch der Grieche warf nur einen müden Blick auf meinen roten EG-Pass. Er übersah, dass ich immer noch mit indischer Zulassung und im Grunde unversichert in die EG einfuhr. Ich hatte eine Deckungs-Doppelkarte dabei in der Hoffnung, dass sie mir irgendwie helfen würde, sollte die Versicherungsfrage aufkommen. Glücklicherweise war das bis zum Schluss nicht der Fall.
Die erste grosse Stadt nach der Grenze, Alexandropolis, wurde zu meinem ersten EU-Haltepunkt. Ich fühlte mich gleich wie zuhause. Saubere Strassen, moderne Gebäude, Internetcafés mit 20” Bildschirmen, DSL Leitungen und richtig gutem Cappucino. Die €45 ,- pro Nacht für das Hotel erschienen zwar vergleichsweise deftig, aber dafür wurde auch was geboten: Satellitenfernsehen, gutes Frühstück und das milde klare Mittelmeer direkt hinter dem Haus, ein ganzer langer weisser Strand für mich allein. Was für ein Unterschied zum überfüllten schmutzigen Goa mit der trüben Brühe des indischen Ozeans.
Der Kickstarter-Haltebolzen brach beim Ankicken. Das passierte praktscherweise mitten in der Stadt, nur 500 Meter von einer Motorradwerkstatt entfernt, die mir auch gleich eine neue Qualitätskette verpasste. Die Originalkette war nach nur 6000 km mehr als tot, ich hätte sie schon 1000 km früher wechseln sollen. Die neue Kette sollte 15.000 km halten, kostete allerdings auch das 12-fache der indischen. Der Stundensatz war mit € 20,- immer noch moderat – für Europa.
Nach zwei Tagen Aushängen und Geniessen machte ich mich auf, Griecheland zu durchqueren. Auf Corfu haben Freunde ein kleines Hotel, bis dahin wollte ich es an einem Tag schaffen. Das klappte fast, ich übernachtete an der Adria mit Sicht auf die Insel.
Am nächsten Vormittag konnte ich dann die herrlich grünen Hügel Corfus zusammen mit einem brillianten Ausblick auf das Meer geniessen. Die Inseltour waren wohl mit die schönste der gesamten Reise. Da war es nicht weiter schlimm, dass mir der Kupplungszug riss, wieder einmal mit unverschämt viel Glück fast unmittelbar vor einer Werkstatt. Leider war der indische Ersatzzug nicht so ohne weiteres austauschbar, es fehlte die Kontermutter am Kupplungsgriff. Sie wurde vor Ort gekonnt aus Altteilen improvisiert. Ein Öl- und Filterwechsel dazu und zweieinhalb Stunden später gings weiter, nachdem € 50,- fällig geworden waren.
Die nächsten drei Tage verbrachte ich damit, die Insel zu erkunden, bevor ich auf die Fähre nach Ancona in Italien rollte. Eigentlich wollte ich nach Venedig, aber die Fähre war schon weg und ich hätte einen vollen Tag warten müssen. Etliche Biker aus aller Herren Länder trafen sich am Fährterminal. Die Enfield war natürlich wieder der Blickfang. Wohl auch wegen des indischen Nummernschilds. Ein älterer BMW K100 Fahrer aus Deutschland erzählte, er hätte die Tour 25 Jahre zuvor auch gemacht. Damals muss sie wesentlich gefährlicher gewesen sein.
Ich bin kein Freund Italiens mit seinen exorbitanten Benzin- und Mautgebühren und auf Touristen-Nepp ausgelegter Infrastruktur. Ich plante daher, kurz und schmerzlos durch dieses Land zu rollen und Etappe in Österreich oder gar schon Süddeutschland zu machen. Leider verliess mich mein Glück in Höhe des Gardasees. Der Motor stoppte ganz unvermittelt und die Maschine rollte sang- und klanglos aus. Meine Pre-Paid Handykarte war lange abgelaufen und so blieb mir nichts übrig als zu versuchen, einen vorbeifahrenden Kollegen anzuhalten. Für einen alten Motorradhasen wie mich war es schon deprimierend zu beobachten, wie vorbeirauschende Guzzi-, Dukati- und sonstige “Motorsportler” sich einnen Dreck um mein Gestikulieren scherten. Ein Autofahrer hielt schliesslich und rief mir einen Abschleppdienst.
Ca.25 km Schleppen sollte dann € 160,- kosten. Eine Ausgabe, vor der mich glücllicherweise mein ADAC Schutzbrief bewahrte. Der Abschleppexperte lud mein Bike direkt vor einer Autowerkstatt ab. Nicht etwa vor der nur weitere 3 km entfernten Motorradwerkstatt. Es war Sonnabend Nachmittag, der wohl schlechteste Zeitpunkt für ein derartiges Intermezzo. Das Hotel am Platz, gegenüber der Werkstatt, war miess und überteuert, italienisch eben. € 65,- für eine 6 qm Zelle mit 100% italienischen Fernsehsendern und 08/15 Frühstück. Immerhin übernahm der ADAC € 55,- davon. Ich rief in München an und musste mir erstmal anhören, dass ich alles falsch gemacht hatte bis zur Sachbearbeiterin durchdrang, dass ich zu der Randgruppe der Bevölkerung gehörte, deren Handy grad mal NICHT funktionierte und dass ich den ADAC daher nicht hätte früher informieren können.
Wir einigten uns, die Enfield am Montag in die nahegelegene Motorradwerkstatt zu verbringen um dort zu checken, ob der Fehler vielleicht in der Zündspule lag. Ich hatte ja Ersatz dabei. Leider war es nicht die Spule wie sich herrausstellte, sondern die teure deutsche CDI-Zündung, die ich extra nach Indien mitgenommen hatte, um eben solche Vorfälle zu vermeiden. Der Importeur Sommer erhielt das Bike dann gute zwei Wochen später per ADAC Überführungsdienst und reparierte den Schaden nach eigenen Angaben in 5 Minuten.
Mangels Bahnverbindung genehmigte der ADAC einen Leihwagen und ich durfte die Reise somit unzeremoniell in einem Nissan Micra beenden.
Die Enfield wurde von Fa. Sommer dann gleich TÜV-fertig gemacht.
Dabei wurden neue Reifen, Blinker und Stossdämpfer verbaut, die Elektrik entwirrt und sogar der Kolben getauscht. Der alte Kolben zeigte angeblich leichte Überhitzungsspuren, was ja bei tausenden von km Strecke bei bis zu 50 Grad und relativ hoher Geschwindigkeit auch nicht verwundert.
Das Ganze war mit € 1100,- eigentlich auch nicht einmal teuer. Leider stellte es sich heraus, dass ich die Maschine für € 2600,-, was gerade mal der halbe Neupreis in Deutschland, monatelang wie Sauerbier in allen möglichen Anzeigenblättern und dem Internet anbieten würde, ohne Erfolg.
Enfield in Deutschland ist eben noch nicht wirklich “Mainstream”.
Ich wollte sie nicht behalten, weil ich oft lange Strecken zu fahren habe, für die ich zumeist die Autobahn benutze. Meine Yamaha 600N ist dafür das praktischere Bike. Und die Umstellung von Links- auf Rechtsschaltung führt ständig zu Getriebekrachern und ist sogar recht gefährlich, wenn man versucht einen Notbremsung hinzulegen und dabei voll auf die Schaltgabel steigt.
Nachtrag 2008: Ich habe sie dann 1/2 Jahr später losgeschlagen, meine Yamaha folgte wenig später. Ich fahre heute eine BMW R1100R.
Facts:
Motorrad: Royal Enfield Bullet 500
Ladenverkaufspreis in Indien: Rupees 69.000 (~€ 1500,-)
Extras: Träger, Sturzbügel, CDI-Zündung 20 Liter Tank, Hochlenker
12V Stecker für GPS, 2 Metallkoffer
Reisezeit Delhi-Hamburg: 26 Tage
Strassenkilometer: 9200
Durchschnittsverbrauch 3.7 liter/100 km (insgesamt ca. € 180,- )
Ölverbrauch: 0.3 liter/1000 km
Reifen (Indian Enfield standard): 60% – 1 Set
Ersatzteile: 1 Kupplungsseil, 1 deutsche CDI Zündung
Papiere: Carnet de Passage € 300,- sowie
€ 3000,- Bankgarantie
Visa: India (5 Jahre), Pakistan, Iran (je 1 Monat)
Anmerkung: Ab März 2002 benötigt man ein 5 Jahres Visum für Indien um sich dort polizeilich melden zu können. Andernfalls stellt der ADAC kein Carnet mehr aus. Der indische Automobilclub stellt zwar auch Carnets aus, die sind aber nur gültig wenn das Fahrzeug nach Indien zurückkehrt.
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